Menschen können voller Widersprüche stecken. Sie sind auch in der Lage, sich diese Widersprüche schönzureden. Dennoch entsteht dadurch oft ein ungutes Gefühl: die Kognitive Dissonanz. Dieser Begriff steht in der Psychologie für einen geistigen Zustand, bei dem das Denken von verschiedenen, sich widersprechenden Denkinhalten erfüllt ist. Bei diesen Inhalten kann es sich um Ziele, Wünsche, Erwartungen, Ansprüche, Wahrnehmungen, Meinungen und Absichten handeln. Wenn wir mehrere davon haben, die miteinander eigentlich nicht vereinbar sind, dann entsteht dabei ein ungutes Gefühl. Doch anstatt sich dieser Widersprüche bewusst zu werden, versuchen wir sie zu rechtfertigen oder logisch zu erklären.
Beispiele gibt es viele
Kognitive Dissonanz findet sich sehr oft bei Süchtigen. Die meisten Raucher zum Beispiel sind sich der Gefahren und der gesundheitsschädlichen Folgen des Rauches bewusst. Dennoch hören sie nicht mit dem Rauchen auf. Stattdessen rechtfertigen sie sich, wie sehr ihnen der Zigarettengenuss guttut oder dass sie eh bald sterben würden. Oftmals findet sich dieser Effekt auch bei Menschen, die einem bestimmten Glauben oder einer politischen Überzeugung anhängen. Werden sie mit der Realität konfrontiert und damit, dass sich die Dinge doch nicht so verhalten, wie sie erwartet haben, dann interpretieren sie die Dinge so sehr um, bis sie ins gewohnte Raster passen. Auch Menschen, die sich unmoralisch verhalten, gehen schnell dazu über, ihr Handeln als richtig zu verklären. Serientäter und Amokläufer rechtfertigen sich oftmals und glauben, eigentlich etwas Gutes getan zu haben.
Eine Dissonanz kann auch dadurch entstehen, dass wir eine Handlung im Nachhinein bereuen. Die „Sunk-Cost-Fallacy“ veranschaulicht dieses Phänomen. Stellen wir uns vor, jemand kauft einen Gebrauchtwagen. Zuerst ist der Käufer mit dem Gebrauchtwagen zufrieden, mit der Zeit stellt sich allerdings heraus, dass der Wagen äußerst reparaturbedürftig ist. Der Gebrauchtwagenverkäufer hat den Käufer nämlich über das Ohr gehauen und den Wagen in einem wesentlich schlechteren Zustand verkauft, als der Käufer angenommen hatte. Doch anstatt sich die Fehlinvestition einzugestehen, beginnt der Käufer nun damit, mehr Geld in die Reparatur zu stecken. Den Gedanken, eine Fehlinvestition getätigt zu haben, kann er nicht ausstehen. Deshalb investiert er erneut Geld in das Auto. Auch wenn ihm die Reparatur sogar noch viel mehr kosten würde.
Das Phänomen war bereits den antiken Griechen bekannt.
In Äsops Fabel „Der Fuchs und die Trauben“ geht es um einen Fuchs, der nicht an die leckeren Trauben herankommt, da sie zu hoch im Baum wachsen. Anstatt einzusehen, dass sich die Trauben außerhalb seiner Reichweite befinden, sagt sich der Fuchs, dass er sie eh nicht essen wollte. Angeblich seien sie zu sauer und noch nicht reif. Er redet sich seine Niederlage schön.
Leon Festinger – Vater des widersprüchlichen Denkens
Die Theorie der Kognitiven Dissonanz stammt von dem US-amerikanischen Psychologen Leon Festinger. Festinger war der Schüler des Psychologiepioniers Kurt Lewin. Festinger konnte diese Dissonanz selbst miterleben, als er sich 1954 in eine Weltuntergangssekte im US-Bundesstaat Wisconsin einschleuste. Die Sekte glaubte daran, dass am 21. Dezember alles Leben auf der Erde vernichtet werden würde. Festinger war live dabei, als am prophezeiten Stichtag nichts geschah und konnte beobachten, wie die Sektenmitglieder argumentierten, Gott habe nur ihren Glauben prüfen wollen.
Der Gedanke, dass ihre Überzeugungen einfach falsch gewesen sein könnten, kam den Sektenmitgliedern nicht. Schließlich veröffentlichte Festinger 1957 Die „Theorie der Kognitiven Dissonanz“. Sein Schüler Elliot Aronson entwickelte die Theorie später weiter und untermauerte sie empirisch. Mit seiner Schrift revolutionierte Festinger die Psychologie. Zum ersten Male beschäftigte sich die Psychologie mit der Dynamik innerhalb der Psyche des Menschen. Bereits Sigmund Freud hatte vor ihm versucht, die menschliche Psyche als ein dynamisches Wesen zu beschreiben, doch wurden seine Theorien damals von der Fachwelt nicht positiv aufgenommen.
Im Widerspruch mit der Realität
Bei der Kognitiven Dissonanz handelt es sich um einen automatischen psychologischen Mechanismus mit einem Zweck. Durch die Fähigkeit, die Realität so hinzubiegen, wie es uns passt, erhalten wir unser Selbst. Stimmt unser Handeln oder Denken nicht mit der Realität überein oder denken wir mehrere Dinge, die miteinander in Widerspruch stehen, dann zweifeln wir. Durch dieses Zweifeln ist unser Selbstwertgefühl gefährdet. Doch anstatt die Konsequenzen zu ziehen und unsere Betrachtungsweise zu verändern, verzerren wir die Realität und schützen damit die fest eingefahrenen Muster und Denkweisen. Unser Denken strebt nach Harmonie, daher der Begriff „Dissonanz“.
Wichtig ist, dass die Entscheidung, unterschiedliche Gedanken und Verhaltensweisen zu hegen, freiwillig erfolgen muss. Wird der Mensch dazu gezwungen, sich anders zu verhalten oder zu denken, dann setzt dieser Effekt nicht ein. Zwar setzt auch dann ein schlechtes Gefühl ein, wenn man etwas tut, das einem widerstrebt. Doch ist das ganz verschieden von der inneren Spannung, die einsetzt, wenn man sich selbst belügt. Zumeist läuft dieses Sich-selbst-belügen unterbewusst ab, die Entscheidung wird nicht bewusst gefällt.
Dissonanzauflösung
Als Dissonanzauflösung oder auch Dissonanzreduktion wird der Versuch beschrieben, eine kognitive Dissonanz zu erklären oder zu ignorieren. Wir haben dieses Phänomen bereits bei dem Fuchs und der Weltuntergangssekte gesehen. Die Menschen setzen unterschiedliche Strategien dabei ein, um mit den Dissonanzen fertig zu werden. Wichtig ist, dass die Spannungen in gedankliche Harmonie umgewandelt werden. So kann die kognitive Dissonanz einfach ignoriert werden. Die Person lenkt sich ab und ersetzt die gefühlte Erregung durch ein anderes Gefühl. Die Person sucht nach Ruhe, meditiert, treibt Sport oder konsumiert Drogen. Andere gehen dazu über, Ausreden und Scheinlösungen zu suchen, sich die Dissonanz schönzureden oder das Problem in einer anderen Ursache zu suchen. Widersprüchliches Handeln kann unvermeidbar dargestellt werden oder wird einfach heruntergespielt. Es kann auch dazu kommen, dass eine von beiden Kognitionen aufgegeben wird, in der Regel die, welche weniger wichtig erscheint (zum Beispiel das Rauchen und die Gesundheit).
Aufgrund dieser Strategien kommt es oft dazu, dass Menschen ihre Sucht beibehalten oder irrigen Vorstellungen treu bleiben. Anstatt die Realität zu akzeptieren, schützen sie lieber ihr Selbstbild, indem sie die Widersprüche ignorieren oder rationalisieren. Um die Dissonanz auf eine gesunde Weise aufzulösen, muss man sich des Widerspruches bewusst werden, den Blickwinkel ändern und sich Klarheit darüber verschaffen, was man wirklich will. Was die eigenen Ziele sind, was einem wirklich wichtig ist und was aus einem objektiven Standpunkt aus betrachtet das Richtige für einen ist.
Die kognitive Dissonanz ist ein alltägliches Phänomen, welches aufgrund der Komplexität der menschlichen Psyche, des menschlichen Handelns und der Welt an sich uns immer wieder über den Weg läuft. Um die Dissonanzen aufzulösen, muss man sich über seine Wünsche, Ziele und über das eigene Selbstbild klar werden.
Wikipedia über kognitive Dissonanz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz