Was ist eine dissoziative Identitätsstörung und wie behandelt man sie?

Die dissoziative Identitätsstörung ist eine psychische Erkrankung mit dem typischen Erscheinungsbild, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in mehrere autonome Teilpersönlichkeiten spaltet.

dissoziative Identitätsstörung
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Dissoziation in der Psychologie 

Allgemein bezeichnet der Begriff Dissoziation die Abspaltung einzelner psychischer sowie als Folge auch physischer Funktionen. Leichte Formen der Dissoziation kennt jeder: wir lesen ein Buch und irgendwann driften wir in Gedanken ab. Der eine Teil ließt weiter, doch wenn wir plötzlich wieder zu vollem Bewusstsein kommen, bemerken wir, dass wir das Gelesene gar nicht wahrgenommen haben und können uns auch nicht mehr an die Inhalte erinnern. Zu schweren dissoziativen Störungen kommt es durch starke psychische Erschütterungen in er Kindheit. Das Kind kann mit dem Erlebten nicht umgehen und flüchtet sich quasi aus seiner Präsenz oder spaltet einen Persönlichkeitsanteil ab, um diesen zu schützen.

Das sind psychische Vorgänge, die unbewusst statt finden. An diesen Stellen erstehen kleine Abweichungen vom harmonischen Funktionieren des Gesamtsystems Mensch. Mit den Jahren können sich solche Dissonanzen zu schwerwiegenden Störungen entwickeln. Neben der dissoziativen Identitätsstörung sind neben einigen weiteren insbesondere Dissoziationen der Wahrnehmungsfähigkeit, der Bewegungsabläufe und des Erinnerungsvermögens bekannt. Gelegentlich liest man auch den Begriff „Multiple Persönlichkeitsstörung“, die jedoch nur eine andere Bezeichnung für die dissoziative Identitätsstörung ist.

Die Symptome

Typisch für die dissoziative Identitätsstörung ist die Anwesenheit von mindestens zwei oder mehr getrennten Identitäten in einer Person. Wieder ist es so, dass dieses Phänomen in leichter Form den meisten Menschen bekannt ist. Mal fühlen wir uns selbst als Erwachsene wie die kleinen Kinder und benehmen und ganz ausgelassen und blitzschnell können wir in die Präsenz als reife erwachsene Persönlichkeit wechseln. Bei der dissoziativen Identitätsstörung entwickeln einzelne Persönlichkeitsanteile ein komplett getrenntes Eigenleben. Typisch ist auch, das Erkrankte Persönlichkeiten zeigen, die völlig anders als sie selbst sind. Dabei können Unterschiede in Geschlecht Alter und sogar Nationalität und gesprochener Sprache auftreten. Die Trennung geht so weit, dass die Präsenz einer Teilpersönlichkeit die Symptome einer Allergie zeigt, während andere Teilpersönlichkeiten beschwerdefrei sind. Bezeichnung für das Krankheitsbild ist, dass die verschiedenen Personen nichts voneinander wissen. Dieser Umstand erschwert die effektive Therapie erheblich.

Das Auftreten der verschiedenen Persönlichkeiten

Der Wandel von einer Persönlichkeit zur anderen kann in Sekundenschnelle passieren oder sich sogar über mehrere Tage hinziehen. Die zeitlichen Abschnitte, in denen die Teilpersönlichkeiten abwechseln können ebenfalls sehr unterschiedlich sein. Oftmals vollzieht sich der Übergang schleichend, so dass selbst erfahrene Therapeuten Schwierigkeiten haben können, den Wechsel sofort zu erkennen. Dieser als „Schalten“ bezeichnete Übergang wird durch äußere Faktoren ausgelöst. Kommt eine schwächere Persönlichkeit mit einem Umwelteinfluss nicht klar, kann sich der Wechsel hin zu einer stärkeren Identität vollziehen. Dennoch stellen die einzelnen Persönlichkeiten meistens keine vollreifen Persönlichkeiten dar. Viel mehr handelt es sich um so etwas wie ein zersplittertes Identitätsgefühl hinter denen sich vermutlich der verletzte Anteil aus der Kindheit zu verbergen versucht.

Wie die „neuen“ Persönlichkeiten genau entstehen, ob Entwicklungen eigener Anteile oder auch von außen aufgenommener Rollen handelt ist bisher nicht ausreichend bekannt. Es ist jedoch möglich, dass traumatisierte Kinder Eigenschaften von Menschen annehmen, denen sie besondere Attribute der Stärke und des Schutzes zuschreiben. In der Regel gibt es eine führende Persönlichkeit innerhalb der Spaltung und das ist auch diejenige, die sich mit dem eigenen Namen identifiziert. Ironischerweise ist es genau diese Führungspersönlichkeit, die sich der Anwesenheit der anderen nicht bewusst ist. Es kommt zu Amnesien und zunehmende Verwirrung über das eigene Dasein in der Welt. Selbst wenn sich die Person in Therapie begibt, können sich die Nebenpersönlichkeiten weiter aufspalten. Es sind Fälle mit bis zu 100 einzelnen dieser Identitätsfragmente innerhalb eines Menschen bekannt.

Weitere begleitende Symptome und Erscheinungen

Neben dem klassischen Bild der multiplen Persönlichkeit und den dadurch verursachten sozialen Problemen leiden Betroffene oftmals unter weiteren Krankheiten

Dazu gehören

  • starke Stimmungsschwankungen
  • Kopfschmerzen
  • Depressionen
  • Unberechenbarkeit, Zorn, Wut und ein Gefühl der Machtlosigkeit
  • Flashbacks
  • Schlafstörungen inklusive Schlafwandeln
  • Angststörungen
  • Abhängigkeiten von Rauschmitteln
  • das Hören von Stimmen sowie Halluzinationen
  • Selbstmordabsichten

Wie Betroffene die Veränderung erfahren

Betroffene erleben häufig ein starkes Gefühl der Trennung vom eigenen Körper. Diese Phänomene beschreiben Patienten selbst gerne als eine „außerkörperliche“ Erfahrung. Der Fachbegriff lautet Depersonalisierung. Der Mensch trennt sich zunehmend von seinem Sein in dieser Welt ab. Als Folge dessen entstehen Gefühle und Wahrnehmungen, die diese Welt als nicht real erscheinen lassen. Das Erleben der täglichen Abläufe kann wie in weiter Ferne statt finden oder über allem liegt eine Art Nebel oder Schleier.

Durch das Schalten und die Unbewusstheit der Führungspersönlichkeit kommt es natürlich zu starken Amnesien. Aber nicht nur das tägliches Geschehen vergessen wird, die Betroffenen vergessen sich zunehmend auch selbst. Häufig können sie sich im weiteren Verlauf der Krankheit dann nicht mehr an ihren eigenen Namen, ihr Alter oder an wichtige Ereignisse zu erinnern. Durch die Verwirrung der Depersonalisierung fällt es dem Menschen immer schwerer sich eigene Meinungen zu bilden, Ansichten zu vertreten oder persönliche Vorlieben überhaupt zu benennen.

Die Abgrenzung zur Schizophrenie

Häufig wird die Spaltung der Persönlichkeit mit der Schizophrenie in Verbindung gebracht. Zunächst können beide Krankheitsbilder ähnlich erscheinen, dennoch existieren eindeutige Unterschiede. Betroffene der Schizophrenie haben keine Persönlichkeitsspaltung. Sie nehmen sich selbst als eine Person wahr und agieren auch so. Allerdings sind die psychotischen Symptome bei Schizophrenen oftmals wesentlich stärker ausgeprägt. Das Hören von Stimmen, Halluzinationen und Wahnvorstellungen geht so weit, dass Erkrankte einen völligen Realitätsverlust erleiden und die eigene Persönlichkeit sich in den Wahnvorstellungen stark verändert.

Dispositionen der dissoziativen Identitätsstörung

Welcher Vorgang genau die multiple Persönlichkeitsstörung verursacht ist ungeklärt. Bekannt sind nur auslösenden Faktoren sowie die Symptome. Die Forschung definiert sie als eine psychologische Reaktion auf sozialen und durch das Umfeld ausgelösten Stress. Emotionale Vernachlässigung oder Missbrauchsgeschehen in der Kindheit begünstigen die Entstehung einer Identitätsstörung. So haben auch nahezu alle Betroffenen in ihrer Lebensgeschichte Situationen der andauernden Bedrohung und/oder Machtlosigkeit durchlebt. Besonders häufig finden sich bei Erkrankten Elternteile, die selbst unter Angststörungen litten und Kindern keine zuverlässige Stütze sein konnten.

Wie eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert werden kann

Die Krankheit eindeutig festzustellen kann ein langwieriger Prozess sein. Nicht selten haben Betroffene schon eine mehrjährige therapeutische Geschichte hinter sich, ehe die Krankheit vollständig erkannt werden kann. Das Bild kann zunächst anderen Störungen wie der Posttraumatischen Belastungsstörung, der Schizophrenie, dem Boderline-Syndrom oder auch depressiven Erkrankungen ähneln.

Nach dem Klassifizierungssystem DSM-5 (DSM = englisch für „Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen“) müssen für die Diagnose folgende Kriterien erfüllt sein

  • Es gibt zwei oder mehr unterschiedliche Identitäten oder Persönlichkeitszustände, von denen jeder sein eigenes Muster der Umwelt- und Selbstwahrnehmung zeigt.
  • Amnesie treten in Form von Erinnerungs-Lücken ganz alltäglicher Ereignisse auf. Außerdem werden wichtige persönliche Daten, Informationen und traumatische Ereignisse vergessen.
  • Mit der Störung geht eine Verzweiflung der Führungspersönlichkeit einher und die Störungen verursachen in einem oder mehreren Lebensbereichen Probleme.
  • Die Störung ist nicht Teil gewisser kultureller oder religiöser Praktiken.
  • Die Symptome sind nicht auf die direkten Auswirkungen einer Substanz wie Alkohol und Drogen oder auf ein partielles Anfallsleiden zurückzuführen.

Die dissoziative Persönlichkeitsstörung und deren Behandlung

Eine wahre „Heilung“ der Krankheit ist bisher nicht bekannt. Allerdings zeigten Langzeitbehandlungen gute Resultate in der Stabilisierung, wenn der Patient engagiert mitarbeitet. Zur Anwendung kommen Gesprächstherapien oder Psychotherapie, Hypnosetherapie sowie begleitende Therapien wie Kunst-, Musik- oder Bewegungstherapie. Allgemein wird versucht, der hilfesuchenden Person wieder zu einer sicheren Wahrnehmung des eigenen Selbst sowie der Realität zu verhelfen. Stresssituationen und Auslöser für das Schalten können durch die Aufarbeitung der Traumata reduziert werden. Medikamentöse Behandlungen gibt es nur für die lediglich Begleiterscheinungen wie Depressionen, Angstzustände oder Schlafprobleme.