Phasen der Trauer: Warum die fünf Phasen der Trauer falsch sind

Sind die Phasen der Trauer noch zeitgemäß? Eine kritische Auseinandersetzung.

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Und dann kommt der Tag, der alles verändert. Der Tod eines geliebten Menschen stürzt die eigene Welt in einen emotionalen Ausnahmezustand und unser Innerstes in ein unfassbares Chaos. Ein kräftezehrender Prozess beginnt, der theoretisch strukturellen Gesetzmäßigkeiten folgen soll. Eine kritische Auseinandersetzung.

Trauerphasen – die Entwicklung eines Konzeptes

Innerhalb des letzten Jahrhunderts befasste sich die Wissenschaft vermehrt mit dem Versuch, Beschreibungen und Erklärungen rund um den Trauerprozess zu finden, welcher nach deren Auffassung bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegen müsse. Auf der Basis anekdotischer Fallstudien und Beobachtungen entwickelten sich Hypothesen und theoretische Konstrukte, um der Trauer und der damit verbundenen Verlustreaktion eine Struktur zu verleihen.

Erstmals tauchte der Begriff der Trauerarbeit in einem Essay Sigmund Freuds auf. Darin vertrat er die Auffassung, dass Trauer nur durch sukzessives Loslassen der Erinnerung an den Verstorbenen und der damit verbundenen Sehnsüchte nach diesem bewältigt werden könne. Emotionale Bindungen müssten sich, seiner Meinung nach, vollständig von dem Betrauerten lösen, damit eine endgültige Trauerbewältigung stattfinden könne.

Das ursprüngliche Modell der Trauerphasen entwickelte die schweizerisch-US-amerkanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross, welche sich intensiv mit der Thematik des Sterbens auseinandersetzte. Im Zuge ihrer Arbeit begleitete sie mehr als 200 Menschen, die im Angesicht des Todes standen und konnte fünf verschiedene Trauerphasen während des Sterbeprozesses feststellen. 1969 verfasste sie ihr Werk „Interviews mit Sterbenden“ in welchem sie ihre Erkenntnisse und Forschungsergebnisse niederschrieb und veröffentlichte.
Jene fünf Phasen des Sterbens wurden auch zum Ausgangspunkt der fünf Phasen des Trauerns, denn diese verliefen im Wesentlichen identisch.

Vierphasiges Modell der Trauerbewältigung

Auf Grundlage der Trauerphasen nach Kübler-Ross entwickelte die Schweizer Psychologin Verena Kast im Jahr 1982, ein vierphasiges Modell der Trauerbewältigung. Dabei bezog sie unter anderem Erkenntnisse des britischen Psychoanalytikers John Bowlby sowie des britischen Psychiaters Colin Murray-Parks mit ein.

Ein weiteres Vierphasenmodell konzipierte der evangelische Theologe Yorick Spiegel. In seiner Habilitationsschrift „Der Prozess des Trauerns. Analyse und Beratung“ aus dem Jahr 1972 liegt der Schwerpunkt im Bereich der Emotionen und wie mit ihnen umgegangen wird. Seine Beobachtungen ergaben entsprechend charakteristische Verhaltensweisen, die er der jeweiligen Phasen der Trauer zuordnen konnte.

Es gibt unzählige weitere Modelle, die sich hauptsächlich durch die Anzahl der beschriebenen Phasen und deren Bezeichnung unterscheiden. Einzig in einer ersten und eine abschließenden Phase finden sich Gemeinsamkeiten innerhalb der einzelnen Theorien wieder.

Trauermodelle heute

Die Konzepte der Trauerphasen galten seit deren Entwicklung als Grundlage für Trauerbegleitung und Therapie. Wenngleich sie sich nicht als statisches Gebilde verstanden, so wurde dennoch davon ausgegangen, dass alle Phasen des Trauerns durchlaufen werden müssten, um den Trauerprozess abschließen zu können. Ob es überhaupt einen Phasenverlauf innerhalb des Bewältigungsprozesses gibt, dafür lassen sich empirisch keine verlässlichen Belege finden, ebenso wenig, wie für den definitiven Abschluss des gesamten Prozesses. Die psychologische Weiterentwicklung führte schon in der Vergangenheit regelmäßig zum kritischen Hinterfragen der Theorien, denn es gab diesbezüglich keine wissenschaftlichen Untersuchungen oder repräsentativen Studien.

Nach wie vor hält sich der Mythos des Trauerprozesses hartnäckig innerhalb der Praxis und der Alltagspsychologie. Tatsächlich handelt es sich heute, fast ein halbes Jahrhundert nach der Entwicklung der ersten Theorien, um rudimentäre Fragmente aus einer Zeit, in der versuchte wurde, einem komplexen, biopsychosozialen Bewältigungsprozess eine lineare Struktur zu verpassen.Es gibt eine Vielzahl neuer Erkenntnisse im Bereich der Trauerforschung, welche sich ausschließlich auf wissenschaftlichen Methoden stützt und diese durch empirische Nachweisbarkeit untermauert werden können.

Die fünf Phasen der Trauer – ein Auslaufmodell

Der klinische Psychologe Professor George Bonanno ist derzeit führender Experte im Bereich der systematischen Trauerforschung und befasst sich bereits seit mehr als zwanzig Jahren mit dem Prozess des Trauerns. Seine Erkenntnisse stellen die klassischen Phasenmodelle und deren Verständnis heute infrage.

Resilienz – die natürliche Selbstheilungskraft des Menschen

Im Zuge seiner wissenschaftlichen Studien konnten sich zwei zentrale Punkte im Trauerprozess herauskristallisieren. Zum einen kam er zu der überraschenden Erkenntnis, dass der Mensch die Fähigkeit der psychologischen Resilienz besitzt. Dabei handelt es sich um Selbstheilungskräfte, die es dem Menschen ermöglichen, seine psychische Gesundheit, nach einem traumatischen Ereignis, wie etwa dem Verlust eines nahestehenden Menschen, aus eigener Kraft wieder herzustellen. Durch diese effizienten Mechanismen wird verhindert, dass es zu einem völligen Zusammenbruch kommt. Es ist eine natürliche Widerstandskraft, die es dem resilienten Menschen ermöglicht, schnellstmöglich in ein strukturelles Leben zurückzufinden. Seine Ergebnisse haben gezeigt, dass der Mensch durchaus in der Lage ist, stressige Ereignisse auch ohne professionelle Hilfe zu überstehen, manchmal sogar gestärkt aus einer solchen Lebenskrise hervorzugehen.

Trauer verläuft in Wellen

Eine zweite wichtige Erkenntnis, die Bonanno erlangte ist, dass Trauer nicht in Phasen verläuft, wie bisher angenommen, sondern eher wellenförmig. Zwar werden alle Gefühlslagen im Trauerprozess durchlebt, doch wechseln sich dabei negative und positive Gefühle immer wieder ab. Der Mensch pendelt zwischen verlustbezogenen und regenerativen Prozessen hin und her, wobei die positiven Momente wichtige heilsame Elemente im Prozess des Trauerns darstellen und keine Verdrängung oder krankhaften Züge bedeuten.

In Einzelfällen tritt auch nach einem längeren Zeitraum keine signifikante Besserung im Bewältigungsprozess ein und der traumatisierte Mensch schafft es nicht aus eigener Kraft, mit der extremen Situation zurechtzukommen. In diesen Fällen können Therapie und Trauerbegleitung einen wichtigen Beitrag leisten, Wege aus der Krise zu finden.

Weitere neue Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Trauerforschung

Es gibt einige wissenschaftliche Studien, die sich äußerst kritisch mit den Phasen der Trauer und deren praktischer Anwendung auseinandergesetzt haben. Dabei fanden die Forscher heraus, dass Trauerphasenmodelle dem Betroffenen oft mehr schaden als nutzen, denn in den meisten Fällen findet er sich darin nicht wieder. Der trauernde Mensch hofft, dass er sich an den einzelnen Phasen orientieren kann und versucht seine Situation in Übereinstimmung mit diesen zu bringen. Es ist die trügerische Hoffnung, dass sich der Trauerprozess zeitlich einordnen lassen könnte. Auch die persönliche Erwartungshaltung beim Durchleben der einzelnen Phasen kann eher zu starker Verunsicherung und Irritation führen, wenn Phasen übersprungen werden oder es statt in die nächste Phase wieder einen Schritt zurückgeht. Schnell werden Selbstzweifel laut und potenzieren die ohnehin schon schwere Situation, die Trauer verarbeiten zu können.

Heute ist es wichtig zu verstehen, dass Trauer keinen Gesetzmäßigkeiten folgt. Trauer ist komplex und individuell und darf so menschlich betrachtet werden, wie sie ist, ohne starre Richtlinien und einer übermäßigen Erwartungshaltung uns selbst und anderen gegenüber.